Lyrik-Finissage der Bodoni-Blaetter Ausstellung, Konstanz

Annika Waigele (Stahringen), Florian Amrhein (KN, Der siebte Stock / Kalliope), Florian Sieber (Kreuzlingen, CH).

Florian Amrhein liest aus "grauzonen zwischedrin". Reflektion des Materials, Anspielung auf Germanistenliteratur, Spiel mit Versatzstuecken und Journalistenprosa, sehr gegenwaertiger Slang und Fremdworte ("wie zugespamt", Gigahertz, Terabyte), kaum anklingende Koerperlichkeit (zwischen "schamansatz und kehlkopf", "ipod iphone i am"). Auf der suche nach der orientierung in der post70er, post80er gegenwart: "ein westkind".
bildbereich liegt wirklich stark im medialen, das soziale findet fast am rand statt, z.B. die familie. "vergessen holocaust, hiroshima und knut".
Sterbende oder hospitalisierte grossmutter. Mensch und Maschine gehen unmerklich ineinander ueber. Spiel mit schwebender Mehrdeutigkeit: "sie schlaeft vielleicht auch nicht".
Und: "Arbeitnehmerfronturlaubsverkehr": das ist einfach gegenwart!

Texte von Morten Paul (gelesen von F. Amrhein).
Behziehungsskizze, Koerperbetont. Sinnlich, optisch, prall, riechen und schmecken, mit Salto ins abstrakte: "Brecht liebt mich". "Klopfen tropfen auf dem dach oder kopf": reimanklaenge.
"an den schweigeraendern scheitern die worte vorerst". "als die gitarren und buecher noch im begriff waren maschinengewehre geworden zu sein".

Florian Sieber ist Slammer aus der Schweiz und slammt im Stehen ueber ein Zwiegepraech mit seinem Koerper. Witzig ohne Scheu vor Themen unterhalb der Guertellinie.
Politische WG : Curchille, Marx und Moritz, Wortspiele mit schweizer und internationalen Politikernamen. "Ich mag zwar einen riesigen Carter haben, aber von dir lass ich mich nicht lincoln." Nicht ganz gleichmaessige Namens-Gag-Dichte, was den Rhythmus des Textes etwas stoert.

"ich bin extrem", Satire auf die Politik als Mode und der politischen Readymadeslogans. Eingeklammert in zwei Nietzezeilen: weh dem der keine Heimat hat.

"Mein kleines Fernsehspiel": Infotainment Cut up. "Heidi Klum sucht das schoenste Skelett der Nation". Boesartiges Zappen zwischen Dieter Bohlen und Mystery.
Musikantenstadl: "Bei uns auf der Alm da gibt's kei' Hiebe fuer praktizierte Geschwisterliebe." Und eine Prise Knut.

Annika Waigele (Weigele?, 15 Jahre):
Gedichte ohne Namen in Einwortzeilen. (Dafuer schreibt sie lange Aufsaetze.)
Strukturierte Anlage, aus den politischen Ansichtern der Generation der15jaehrigen.
Wunsch nach Stabilitaet und Ordnung, nach Weltaneignung und Liebe. "lass uns (...) warten, bis wir 2 unsterblich sind".
Bildhafte Sprache, bemerkenswert klischeefern fuer dieses Alter, auffaellige klare Formen. Durchaus mit Referenzen auf die Bildwelten der Lyrik der letzten Jahrhunderte.

Mein Fazit: Lyrik lebt und stellt eine Sprache zur Verfuegung, die in fiktionaler Prosa oder Essay nicht toleriert wuerde.

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Diskussion:
FA: Ich schreibe Lyrik, weil es am einfachsten faellt. Lyrik erlaubt mehr Formen. Die erste Texte klangen an Eichendorff an. Ich moechte jetzt Lrik schreiben, die fuer heute ist. Die avantgardistisch ist.
AW: Ich schreibe eher aus den eigenen Emotionen heraus, man kann aber irgendwann ueber alles schreiben. Wenn man anfaegt findet man alles gut, Monate spaeter loescht man dann lieber alles. Man muss sich damit beschaeftigen, um dranzubeiben. Man kann das auch nicht erzwingen. Man muss es nehmen wie es kommt.

FS: Ich habe nie viel gechrieben. Das Theaterstueck, Kurztexte, Slamtexte. Zum Slam bin ich zufaellig ueber eine Theatergruppe gekommen. Ich schreibe eher um neues Material fuer den naechsten Slam zu haben Bei mir ist das eher chaotisch, das passt zum Slam. Man hat keine Formbindung. Texte enstehen mal in 30 Minuten, mal in vier Wochen.

Warum noch Lyrik? "Lyrikschreiben ist Menschenrecht" (NN) Poetry Slam verschafft neue Zugaenge. HipHop ist ein Revival von Reim und Metrik.

Was ist der Anspruch? Medienkritik, Kunstkonsumenten zum Nachdenken anregen (nicht nur zum Mitfuehlen), dabei: Spielen mit Sprache.
AW: Sprache steht imVoedergrund, Wiederholungen stoeren mich.

Was ist JUNGE Lyrik? Die Diversitaet der verschiedenen Moeglichkeiten zwischen Slam und anderen Formen. Wir sind heute fuer alles offen, das war vor 200 Jahren noch nicht so. Die traditionellen FORMEN gleichen sich zu sehr. Neue Formen und Gesellschaftskritik sprechen eher an. Sprache wird immer mehr wissenschaftlich und linguistisch reflektiert in den Texten. Beim Slam gibt es das breite Spektrum zwischen den Komikern und den 'Depressiven': "Wir sind Fast Food Poeten, die eine schoenen Abend haben wollen."

Treffwunschdichter: Metal-Texter Sonic Syndicate (Annika), Arno Holz, Alfred Lichtenstein.

Texte veraendern sich extrem duech Studium, Sekundaerlitertur und Diskussion im Autorenkreis.

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Update: Der SK-Vorbericht zur Ausstellung (weiß nicht, wie lange der 'free' bliebt.)

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