Blasen an den Händen - Ex-Besatzungsmitglied der Gorch Fock im Chat-Interview

Oliver Gassner: Halllo, danke, dass du für das Interview zur Verfügung stehst. Wir haben vereinbart, es zu anonymisieren. Kannst du uns unter dieser Prämisse kurz erzählen, was du bei der Bundeswehr machst und was du mit der Gorch Fock zu tun hattest?
NN: Ich bin Marineoffizier und war wie jeder Truppenoffizier in meiner Zeit als Offizieranwärter auch an Bord der Gorch Fock.
Oliver Gassner: Wie lange ist man da an Bord und was tut man da?
NN: Auf der Gorch Fock bekommt unter anderem normalen Unterricht. Zum Beispiel in Wetter oder Führungslehre. Außerdem lernt man in den 6 Wochen das Leben an Bord kennen.
Oliver Gassner: Wie weit kommt man in sechs Wochen rum? (Wenn dich das Beispiel nicht enttarnt ;) )
NN: Das ist unterschiedlich. In den letzten Jahren war die Gorch Fock sowohl im Mittelmeer, als auch in Nord- und Südamerika. Meist hat man während dieser Zeit drei Hafenaufenthalte.
Oliver Gassner: Also man kommt einmal über den Teich und zurück?
NN:: Ich weiß nicht, ob die Überfahrt selbst mit Offizieranwärten durchgeführt wurde. Diese sind ja nur von August bis Dezember an Bord.
Oliver Gassner: Das heißt, du warst dann nur in Europa unterwegs?
NN: Ja
Oliver Gassner: Ansonsten hat die Gorch Fock eine Stammmannschaft, die größere Fahrten macht?

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NN: Es werden selten größere Fahren gemacht. Aber eine Stammbesatzung ist immer mit an Bord.
Oliver Gassner: Per Twitter kommt die Frage: "Was für einen Sinn hat die Ausbildung auf einem Segelschiff überhaupt, wenn man später auf modernen Schiffen arbeitet?"
NN: Es geht nicht darum irgendwelche Maschinen kennenzulernen. Nach der Gorch Fock kommt sowieso noch das Studium und eine lange Lehrgangstournee. Zum einen geht es um die gelebte Kameradschaft. Zum anderen darum das Meer kennenzulernen. Das Leben auf der GorchFock macht einen jungen Menschen, der als Schüler an Bord kommt reifer. In kurzer Zeit prasseln viele Erfahrungen auf einen ein, so auch der Umgang mit Menschen aus den verschiedensten Schichten und Bildungsniveaus.
Um Marine.de zu zitieren: Die Bedeutung der Seemannschaft als berufsspezifische Grundlage der Seefahrt kann nur auf einem von Wind und Wetter abhängigen Segler glaubhaft vermittelt werden. Außerdem erzieht die ungewohnte Enge und der Mangel an Komfort zur Kameradschaft, Rücksichtnahme und fördert den Teamgeist.
Oliver Gassner: Wie groß ist die Stammbesatzung und wie lange sind die Leute in der Regel auf der Groch Fock? Also "am Stück" und insgesamt?
NN: Die Fahrenszeit eines Besatzungsmitgliedes ist von vielen Faktoren abhängig. Nicht zuletzt der Verpflichtungszeit, aber auch privaten Gründen. Wie groß die Besatzung genau ist weiß ich nicht.
Oliver Gassner: Hat es eigentlich Spaß gemacht auf der Gorch Fock zu sein?
NN: Es hat viel Spaß gemacht. Jedem Offizieranwärter wird geraten während der Zeit ein Tagebuch zu schreiben, als Erinnerung für später. Und um sicher zu gehen, dass die Zeit nicht die Erinnerung schön gefärbt hat, habe ich mein Tagebuch nochmal herausgeholt.
Oliver Gassner: Und was steht da an Schönem drin?
NN: An den meisten Tagen habe ich meine Laune aufgeschrieben. Und sehr oft ist dabei auch "glücklich" zu lesen. Auch wenn vieles anstrengend ist, machen diese einzigartigen Erlebnisse Freude.
Oliver Gassner: Hast Du ein Beispiel? Sonnenuntergänge? Walherden?
NN: Deplhine vor dem Bug. Aber auch der Stolz, wenn man alle Belegnägel kann oder die Freude, wenn man oben auf der Rah steht, man sieht nur Wasser und Wellen und merkt das leichte Schaukeln
Oliver Gassner: Und was war das Unangenehmste, das du auf dem Segelschulschiff erlebt hast? Was steht da neben "total am Ende" oder "genervt"?
NN: Das unangenehmst waren wohl die Blasen an den Händen.
Oliver Gassner: Du hattest mir mal in einem persönlichen Gespräch erzählt, dass der Dienst auf der Gorch Fock sich von dem normalen Dienst bei der Bundeswehr unterscheidet. Dass es da deutlich strenger ist. Kannst du aus eigener Erfahrung da etwas beschreiben?
NN: Seit die Marine keine Zerstörer mehr hat, gibt es keine Schiffe mehr mit 50-Mann-Decks. Als Beispiel. Im normalen Dienst auch auf anderen Schiffen ist man, wenn man an Bord kommt, für seinen Dienstposten ausgebildet. Das heißt nicht, dass die Ausbildung nicht ständig fortgeführt wird, doch die GorchFock ist das einzige Schiff, was auf die Ausbildung spezialisiert ist. Und dabei nicht nur auf die Ausbildung, sonderen auch auf die Erziehung.
Oliver Gassner: Und das heißt genau?
NN: Rücksichtnahme, Kompromissbereitschaft und manchmal auch einfach schneller Gehorsam ist nötig.
Oliver Gassner: Ich glaube du hattest als Beispiel genannt, dass man da schon mal minutenlang angeschrien wird?
NN: Der Grad zwischen anschreien und sich verständliche machen ist natürlich schmal. So kann ich das Gefühl gehabt haben, dass der Ausbilder ruhig etwas leiser hätte sprechen können. Die Person dreißig Meter neben mir muss aber trotz Wind und Wellten auch noch alles mitbekommen.
Andererseits gibt es immer Personen, die nicht anders können aus lauter zu sein, als sie müssten.
Oliver Gassner: Konkreter: Hast du da von jemand aus der Stammbesatzung dir gegenüber ein Verhalten erfahren, bei dem du gesagt hättest: "Das fühlt sich Scheiße an und das muss jetzt wirklich nicht in der Form sein?"
NN: Ja, aber nie entwürdigend oder verletzend. Es gab auch einen Ausbilder, der mich ungerechtfertigterweise wegen eines Fehlers angefahren hat. Als er dies feststellte, ist er zu mir gekommen und hat sich entschuldigt.
Oliver Gassner: Würdest du sagen, dass dich der Dienst auf der Gorch Fock verändert hat? Wenn ja: Wie? Oder: Was hast du da "für den Rest des Lebens" gelernt?
NN: Verändert auf jeden Fall. Alle Soldaten, die auf der GorchFock gefahren sind sind reifer geworden. Zudem hat die Fahrt die Fitness voran gebracht. Für den Rest des Lebens habe ich auf der GorchFock auch gelernt eigenen Grenzen zu erkennen und schrittweise zu überwinden.
Oliver Gassner: Gab es Frauen unter euch Offiziersanwärtern?
NN: Ja.
Oliver Gassner: Gab es sexuelle Anzüglichkeiten gegenüber den Frauen in der Besatzung?
NN: Es gab wie immer und überall Anspielungen und Scherze sowohl von Frauen, als auch von Männern. Es ist schwierig zu Beurteilen, wann für wenn was eine Anzüglichkeit ist.
Oliver Gassner: Ist es denkbar, dass die Frau zu klein für den Dienst in der Takelage - oder auf der Gorch Fock überhaupt - war?
NN: Laut NDR-Interview mit dem Flottenkommando in Glücksburg, gibt es keine spezielle Mindestgröße für den Dienst auf der GorchFock oder anderen Marineschiffen.
Oliver Gassner: Ist das Erklettern der Takelage wirklich freiwillig und wie wird das gehandhabt?
NN: Es ist freiwillig in dem Sinne, dass jemand mit Höhenangst nicht gezwungen wird. Es gibt viele wichtige Positionen auf dem Schiff. Auch an Deck müssen Leute Arbeiten verrichten. Am Anfang wird aber jeder dazu angehalten es zumindest auszuprobieren. Dabei ist man nicht alleine, sondern es wird jeder Schritt genau erklärt. Alle paar Meter ist ein Stammsoldat eingepickt und gibt einem Tips oder korrigiert z.b. den Laufstil. Am Anfang geht es nur bis zur ersten Plattform. Danach wieder runter.
Oliver Gassner: Ist die Verweigerung oder Offiziersanwärter, nach dem Unfall oder Vorfall in die Takelage zu klettern, denkbar? Was passiert in so einem Fall normalerweise?
NN: Ich kann nicht beurteilen, wann was zu dieser Zeit an Bord passiert ist. Wenn jemand sich weigern würde weiterhin die Übungen mit zu machen, die für die Sicherheit für den Soldaten, aber auch für die Kameraden, auf der Weiterfahrt wichtig sind, würde es meiner Meinung nach zu einem Gespräch kommen.
Oliver Gassner: Kanntest du den Kapitän der Gorch Fock, der jetzt abgelöst wurde?
NN: Persönlich nicht. Es ist außerdem schwer zu sagen, dass man als Offizieranwärter an Bord einen Kommandanten kennt. [Wichtig: Kapitän ist ein Dienstgrad, keine Position] Für die Ausbildung und für die Soldaten ist zuerst der IO verantwortlich.
Oliver Gassner: Gibt es aus deiner Sicht noch etwas, was du zu der aktuellen Dikussion um dei Gorch Fock loswerden willst?
NN: Solange die Untersuchungen nicht abgeschlossen sind, ist es wichtig nicht jedem neuen Gerücht nachzugehen und es auszuweiden. Außerdem sollte vorsichtig mit Begriffen hantiert werden. Ob das jetzt "gefeuert" oder "vorläufig suspendiert" oder ähnliches ist. Die aktuelle Diskussion ist leider sehr emotional und politisch geladen und nicht, wie sie es sein sollte, in erster Linie in Sorge um die Soldaten und die Bundeswehr.
Oliver Gassner: Königshaus, der Wehrbeauftragte attestiert "zum Teil erhebliche Führungsmängel" bei den Offizieren. Siehst du das aus eigener Erfahrung auch so?
NN: Ja. Es gibt erhebliche Führungsmängel bei Offizieren, wie auch erhebliche Kompetenzmängel bei Lehrern oder auch erhebliche Fitnessmängel bei Jugendlichen. Ich habe keine Studie zur Hand, die sagt, so und so viel Prozent von Offizieren haben diese und jene vorher festgelegten Mängel. Solange das nicht der Fall ist, würde ich von Verallgemeinerungen absehen.
Oliver Gassner: Was denkst du: Will da jemand zu Guttenberg als Kronprinzen der Kanzlerschaft demontieren?
NN: Das sind zwei Unterstellungen in einem Satz. Zum einen die des Kronprinzen zum anderen die Demontage. Natürlich kann es einer Opposition nicht recht sein, wenn ein Regierungsmitglied starken Zuspruch erhält. Ob es um gezielte Demontage geht, kann ich dabei nicht beurteilen
Oliver Gassner: Hast Du zu Guttenberg gern als Chef?
NN: Ich habe ihn persönlich noch nicht kennengelernt. Aber das Gefühl, dass ihm mehr an den Soldaten liegt, als an dem Posten ist bei ihm vorhanden.
Oliver Gassner: Was macht man eigentlich gegen Blasen an den Händen?
NN: Pferdesalbe hilft.
Oliver Gassner: Danke für das Interview.

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Kommentare

  1. Recht früh im Jahr. Aber sicherlich jetzt schon ein Highlight in Klein-Bloggersdorf!

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  2. Die Untersuchung auf der Gorch Fock fängt gerade erst an, aber die Mannschaft ist schon vorverurteilt worden. Wie ist es denn mit dem Rechtsstaat, gilt hier nicht die Unschuldsvermuten. Seit Freitag untersucht eine Kommission unter der Leitung von Marineamtschef Horst-Dieter Kolletschke Vorwürfe, auf der Gorch Fock seien Offiziersanwärter schikaniert und sexuell belästigt worden. Er berichtete nach einem ersten Eindruck von Bord, die Stammbesatzung sei kooperativ. Das hört sich doch positiv an.

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