Freund, Kontakt, Follower: Dimensionen digitaler Gespräche - Blogparade

Es macht grad Spaß, also mach ich bei der Blogparade von Frank mit: Blogparade Kontaktanfragen
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Ich werde hier mal nicht ganz so lobenswert systematisch vorgehen wie Frank in seinem Post sondern eher versuchen, ein paar Beobachtungen festzuhalten.

Friend vs. Freund
Ein Freund ist jemand, mit dem ich vertrauensvoll etwas bespreche, jemand, den ich bei der Begrüßung vielleicht eine Viertelksekunde länger und mit 500 Gramm mehr Druck fester umarme als andere. Jemand, auf den ich zählen, kann, wenn es mir schlecht geht. Manche meiner Freunde, inzwischen sogar viele, habe ich online kennen gelernt, oder eher "wegen online". Wenn man wie ich seit 88 dabei ist. wäre es auch ein Wunder, wenn nicht.
Freund wird jemand jedenfalls nicht, weil wir gegenseitig auf Twitter verknüpft sind, oder so.

Zu "friend" eine Anekdote. Auch 1988 kurz nach dem Superbowl war ich in den USA als Student. Es gab eine Party in einem Fraternity-House, ich wüsste nicht mal welche. Strukturell war das unspektakulär, es gab primär das sonst am College verbotene Bier. Jedenfalls stand ich mit jemand zusammen dem ich vorgestellt worden war, ich weiß nicht mal weswegen. Durchaus schon alkoholisiert tauschten wir uns über weltpolitische Belange aus ("West Germany? Is that theirs or ours?") Da trat jemand hinzu und mein Konversationspartner stellte mich vor als : "Hey, Josh, meet my friend Oliver." Als Linguist war mir trotz schwerer Zunge und bebiertem Gehirn klar, dass hier eine gänzlich andere Bedeutung (Semantik) des Wortes "friend" vorlag, als ich es von "Freund" gewohnt war. Nach einigen Jahrzehnten der Reflexion und der Lektüre einiger Onlinebeiträge zum Thema Friend-Freund (aus der Zeitung lernste da nix) ist mir auch klar, was "friend" im amerikanischen Englisch zu bedeuten scheint, nämlich: "Jemand, auf den ich nicht schieße." Jemand, der mich nicht bedroht, zu dem kein Konkurrenzverhältnis besteht. So in der Art. Sicher erklärlich aus der Pioniertradition und den generell unsicheren Verhältnissen, die einige Jahrhunderte herrschten, als das Land in Besitz genommen wurde - bzw. den Besitzer wechselte.
"Friend" also mit Freund zu übersetzen wäre gänzlich schief. Am besten man benutzt - wie Sascha Lobo es vorschlägt - das Wort "Friend" um kultursoziologisch klar zu machen: Ich rede hier nicht von Freunden im europäisch-germanischen Sinne. (Auch im Deutschen wird hier massiv differenziert: Kumpel, Kamerad, Kollege, Spezi/Spezl(n), Saufkumpan etc.)

Kontakte vs. Follower
Ich spreche bei gegenseitig bestätigten Beziehungen auf Social Networks eher von Kontakten. also bei Myspace, Friendster, Orkut, XING oder Facebook.
Bei all diesen Diensten ist die normale Beziehungsart die des gegenseitigen Bestätigens der Beziehung, die Beziehung ist symmetrisch.
Als Option bieten Facebook und XING, als Normalfall Google+ und Twitter aber das asymmetrische "Folgen" an, bei dem de eine Person die öffentlichen Mitteilungen der anderen in ihren eigenen Stream einblendet. Hier spricht man zwar manchmal bei gegenseitigen Hinzufügen von "Friends", aber das es sich nur um die Dokumentation inhaltlichen oder persönlichen Interesses handelt, würde ich hier eher von "gegenseitigem Interesse" sprechen. An sich haben wir für diese Beziehungsart noch keinen Begriff, es hat sich aber der des Followers etabliert, oder sagen wir: der Interessent. Für das "gegenseitig Follower sein ohne sich persönlich zu kennen", haben wir noch keinen Begriff. Mag jemand etwas vorschlagen?
Genau deswegen übrigens, sind Twitter und Google+ an sich keine "Social Networks" sondern eher "Sharing Plattformen" oder "Orte für digitale Dialoge", denn dort stehen Inhalte und Sharing im Vordergrund und nicht persönliche Beziehungen. Weil viele Google+ mit Facebook verwechseln sind sie irritiert, wer ihnen dort alles folgt. (Wo Sharuing oder Inhlat im Vordergrund stehe, spreche ich von Social Media, wo die Beziehung von Social Networking, es gibt dann noch ein paar Unterfromen (curation, collaboration, Crowdzeuchs (folksonomy z.B.), Gaming etc. etc), die dann zusammen das Social Web ergeben (das, nimmt man es genau, auch nicht pur Web ist, d.h. Social Net müsste es heißen, was man dann gar nicht mehr ins deutsche Übersetzen könnte, außer mit "Mitmachnetz").

Sonderfälle
Selektiv bin ich bei Diensten, wo ich auch sehr Persönliches von mir gebe, wie meinen genauen aktuellen Aufenthaltsort - meine Geokoordinaten sind idR übrigens öffentlich. Anders gesagt: Bei Path, Latitude oder Foursquare bin ich eher selektiv: Sagt mir ein Name nichts, folge ich nicht zurück oder gebe meinen Stream nicht frei. Natürlich kreise ich nicht jeden G+-Follower zurück (das ginge gar nicht, denn mir folgen über 9000 und bei 5000 ist Schluss) und followe auch nicht jedem der über 5600 Twitterfollower. Zum Teil fehlt allein die Zeit, alle Follower 'abzuchecken'. ich muss mich darauf verlassen, dass die interessanten unter ihnen irgendwann auf etwas reagieren, was ich sende; denn an sich sind als Quasi-Kontakte ja ohnehin nur Leute interessant, die nicht nur 'Lurker' sind (d.i. passiv konsumieren) sondern ins digitale Gespräch eintreten.

Kontaktkategorien
Wenn wir von den relativ vielfältigen Kategorisierungen bei XING absehen, sortiere ich meine Kontakte oder die "ReInteressanten" (wäre das ein Begriff?) in folgende Gruppen:
- close (Freunde)
- familie (in meinem Falle eher entfernte Verwandte oder solche, die ich erst kürzlich wiederentdeckt habe)
- met (getroffen)
- region (Bodensee o.ä., die 30 Meilen-Zone wird ja zudem bei facebook automatisch angelegt)
- kunden
- coop (da gehören z.B. auch alle anderen XING-Ambassadoren rein)
- smart ppl (Leute, die ich nicht kenne, oft international, mit SEHR guten Inhalten)
- news (reine Newskanäle, CNN, Zeitungen etc.)
- fans (wer mich empfiehlt, retweetet etc, ohne dass ich denjenigen persönlich kenne)

Je nach Plattform oder Projekt gibt es dann noch andere, aber das sind die wesentlichen.
Nicht überall sind alle dieser Kategorien massiv gepflegt - dazu reicht die Zeit einfach nicht, bzw. ich spare mir allabendlich die zwei Stunden, die das dauern würde.

Probleme
Bei Facebook oder XING habe ich an sich kein Problem:
Bei Facebook wird jeder Freuendschaftsantragsteller, den ich nicht kenne und der der mir nicht, wie auf meinem Profil erbeten, schreibt, warum er mein Kontakt(!) sein will, zum Follower: der Freundschaftsantrag wird ohne Spammeldung abgelehnt und er sieht so automatisch (manche meiner) öffentliche(n) Updates. Bei XING wird bei unerklärten Kontanktanfragen zurückgefragt und auf diverse Followingmöglichkeiten hingewiesen. Kommt keine Erklärung, wird bei Kontaktsammlern abgelehnt (die kann man schon ganz gut erkennen ;) ) und eine Spammeldung versandt, bei Nicht-Kontaktsammlern wird die Person als D-Kontakt (wer ist das, und was will der/die von mir) angenommen. (A ist für close/Kunden/Gute Bekannte, Kooperationspartner, B met/prospects, C Interessenten, D Unbekannte mit unbekannter Agenda)
Warum nehme ich die D-Leute überhaupt an? Hier sind wir bei einem Knackpunkt: Meine Hypothese ist, dass mir viele Leute gar nicht eine Beziehung unterschieben wollen, sondern sich einfach nur für meine Inhalte interessieren (oder - warum auch immer - wahllos auf jeden Kontaktvorschlag (den ja jede Plattform bietet) klicken, den ihnen ein System vorschlägt). Leider werden, wenn man etwas bekannter wird oder sich durch Content interessant macht, auch Social Networks eher zum 'Radiosender' als zur 'persönlichen Kontaktbasis'. Man kann das widersinnig finden oder bedauern, aber wenn mir jemand schreibt: "Sie schreiben interessante Sachen im Forum, ich hätte Sie gern als Kontakt" - was soll ich sagen? "Abonnieren Sie bitte mein Blog per Mail und gehen Sie weg? Oder geben Sie mir erst mal fünf Kaffee und drei Bier aus, dann sehen wir weiter?"
Genaue Kriterien, wann ich jemand als Kontakt möchte, habe ich zwar in meiner Kontaktcharta niedergelegt, davon gibt es einerseits auch Ausnahmen, andererseits sind diese Kriterien auch nicht ewig gültig. Beispielsweise gibt es Leute, mit denen ich lange Zeit rein per Mail oder Social Networks kommuniziert habe, ohne sie persönlich zu treffen.

Fazit
Nicht die Menge an Information oder menschen/Kontakten ist das Problem, sondern die Filterung. Und dass man sich selbst klar wird, dass es mehr gibt als "nur" Freunde oder Follower und dass sich diese wiederum (nach eigenem Gusto) splitten lassen. ebenso wichtig ist, dass man Nervtüten einfach ausblendet - aber das wäre eine andere Blogparade.

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Kommentare

  1. Hallo Oliver,

    das ist eine gute Darstellung und trifft im Kern auch die Überlegungen, wie ich sie zu den social media angestellt habe.

    Eines wird hier ebenfalls deutlich: wir leben in unserem deutschen Kulturraum, wir haben darauf angepasst eine wunderbare Sprache entwickelt. Eine, die sehr durchdacht ist und unsere Denkweise widerspiegelt. Jenseits der Denglisch-Diskussion fände ich es hilfreich, wenn sich diese in den "social media" in Deutschland auch wiederfinden würde. Und wenn wir eine Lücke finden sollten, einen Sachverhalt, für den es noch keinen Begriff gibt: suchen wir einen!

    Ich denke zudem gerade daran, dass zu einer guten Nutzung der "social media" wir uns einen Fragenkatalog definieren sollten. Z. B.: Was will ich mit einer bestimmten Plattform, wieviel will ich wo von mir preisgeben, wieviel Raum gebe ich den Diensten in meinem Leben, wie sehr will ich interagieren usw.

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