Das Social Web, Karajan und der Radetzkymarsch



? Strauss - Radetzky March - Karajan - YouTube

Uff, mir laufen gerade kalte Schauer über den Rücken. Passiert mir ja manchmal bei rührenden Musikstücken. Hier ist es nicht die Musik, sondern das, was da zwischen Orchester, Dirigent und Publikum passiert.

Und das, was es mit der Kommunikation im Social Web zu tun hat.

Gepostet hat das Stück "aus gegebenem Anlass" (welcher auch immer das war) Robert Basic bei Facebook.

An sich würde die folgende Betrachtung eher ein Buch füllen, aber ich versuch es mal gedrängt. (Eigentlich sollte ich grad an meinem Buch zu Google+, 2. Auflage, arbeiten.)

Also.
Was sehen wir?

Beim Silvesterkonzert (?) der (Berliner oder Wiener?) Philharmoniker spielt das Orchester unter Karajan den Radetzkymarsch von Strauß.
Das Publikum beginnt mitzuklatschen - den Takt vorzugeben ist aber ja an sich Job des Dirigenten.
Karajan dreht sich um, er wirkt (auf mich, da er sich so duckt) leicht indigniert, er hebt die Hand - zum Dank? als Beschwichtigung? - und dirigiert dann nicht das Orchester sondern das Publikum, dessen Klatschtakt dann wieder das Orchester dirigiert. Klar, die Musiker sehen ihn immer noch und können auch von ihm den Takt abnehmen, aber angenommen, das Publikum würde anders klatschen als er dirigiert, das Stück wäre kaputt.

Karajan - so bemerkt es auch einer der Kommentatoren unter dem Video- integriert das Publikum als 'Track' in das Musikstück.

So, was hat das jetzt mit dem Social Web zu tun? Bzw. mit dem was Firmen hier machen?

Firmen haben glaube ich oft einfach noch das Modell: "Ich kommuniziere irgendwas und dann kommen die Leute und wollen mein Produkt kaufen."

Und dieses Modell versuchen sie auf Online und vor allem auf das Social Web übertragen.

Die Menschen brauchen aber die Firmenkommunikation per se nicht, damit sie sich im Netz (und anderswo) über Produkte unterhalten können. Sie geben ihren eigenen Input, und ihren 'Takt' und erwarten an sich von Firmen, dass sie zuhören, und das Produkt an das anpassen, was der Kunde möchte. Und nicht, dass dem Kunden gesagt wird, was er jetzt bitte zu brauchen und zu kaufen hat.

Karajan hatte folgende Möglichkeiten:
- Er ignoriert die 'Kundenstimmen' und dirigiert sein Orchester so wie er es für sinnvoll hält - notfalls schneller oder langsamer als der Klatschtakt.
- Er gebietet dem Publikum zu schweigen bzw. bricht das Stück ab und setzt so lange neu an, bis Ruhe ist.
- Er begibt sich in den "Dreierdialog" (jaja, doofes Wort, also), ins Gespräch mit Publikum und Orchester, nimmt den Mitwirkungswunsch des Publikums auf und steuert das Gespräch so, dass immer noch ein sinnvolles Musikstück rauskommt, bei dem das Pian(issim)o des Orchesters nicht vom Forte des Klatsches übertönt wird.

D.h. erweitert sein Orchester um die Kunden und bezieht diese in den Produktionsprozess ein.

Und nun? Social Web?

Es kommt kaum ein Kunde zu mir und sagt: "Ich möchte das Social Web nutzen, um meinen Kunden zuzuhören und deren Impulse in meinen Managementprozess einfließen lassen."

Sondern man sucht entweder einfach Kunden, oder Mitarbeiter, will sein Branding vorantreiben, seine Bekanntheit erhöhen - und so weiter. Sicher ist man geneigt, mir zuzuhören, wenn ich dann sage, dass das einsammeln - auch von negativem - Kundenfeedback eine wertvolle Lernchance ist. oder dass allein Bloggen hilft, Gedanken zu strukturieren ("Sie baden gerade Ihre Hände darin."). aber in der Regel wird das leider als Nebenaspekt behandelt.

Natürlich kann ich auch via Social web das Publikum nicht so einfach steuern, aber das lässt sich eben von Karajan dirigieren, weil es ihn respektiert, vielleicht sogar liebt. Das gälte es sich erst zu verdienen, bevor man so eine "virale Klatschsychronisation" hinbekommt. (Es gibt ja auch diese Konzertszenen, in denen ein Star etwas vorsingt und das Festivalpublikum es nachsingt, das ist auch so eine Synchroniserung, die, nennen wir es ruhig uns Unreine: Liebe zur Vorbedingung hat.)

Gerde jedenfalls habe ich den Impuls, jeden meiner Workshops mit diesem diesem Video zu beginnen, und im Gespräch zu klären, was hier passiert, und was das mit Firmenkommunikation im Netz zu tun hat.

Es gilt nämlich weniger irgendwas zu wissen oder irgend ein Tool zu kennen, es gilt zu verstehen wie und warum Kommunikation im Social Web funktioniert. Herbert Karajan kann uns jedenfallls hier behilflich sein.

Postum ein "Danke".

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Kommentare

  1. Bevor man in diesen Ausschnitt zu viel hineininterpretiert, sollte man vielleicht wissen, dass das Spiel mit dem Publikum beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ein festes Ritual darstellt. Hier handelt es sich nicht um eine spontane Eingebung Karajans, vielmehr um eine feste, wenngleich unausgesprochene, Verabredung mit dem Publikum, quasi einen Auto Follow.

    Und ganz ähnlich wie bei Last Night of the Proms finden es natürlich alle ganz ganz toll womöglich dabei gewesen zu sein oder es zumindest gesehen zu haben. Platten bzw. CDs mit Aufnahmen solcher Veranstaltungen sind aber stets Ladenhüter.
    Und da hätten wir auch direkt die wirkliche Gemeinsamkeit mit Social Media herausgearbeitet... ?!

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  2. Was findest Du an dem Wort "Dreierdialog" doof?

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  3. Dia-Logos: Gespräch zweier Personen. (denke ich mal, ich bin kein GRieche ;) ) Dreierdialoge sind sowas wie eine fünfbändige Trilogie ;)

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  4. An sich ist das unerheblich, was sich Karajan gedacht hat. Selbst wenn es ein Spiel ist, ist es eines, das beide spielen. Jede Seite könnte nicht mitspielen. An sich geht es nicht darum, zu extrahieren, was Karajan und das Publikum sich "dabei gedacht haben" (Interpretation?), es geht eher um Hermeneutik: verstehen, was passiert. und es passiert eben Dialog - demnach auf NOCH einer Ebene.

    An sich ist eben auch Social Media ein Spiel.

    Und klar, 3h Youtube von "Herrn Tutorial" würd man sich auch eher nicht auf DVD kaufen. Oder doch?

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  5. Natürlich ist es unerheblich was Karajan sich gedacht hat. Weniger unerheblich fand ich, was du dir dabei gedacht hast, als du einen Zusammenhang mit dem Social Web (was immer am Web wirklich social sein kann...) hergestellt hast. Mit der Argumentation, die du da anführst, kannst du dir im Grunde jede Form der Interaktion als Fallbeispiel für Social Tralala schönreden.

    Manchnmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre.
    http://www.youtube.com/watch?v=9YvC24lWYjo

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