Das Weblog und das Private

Angeregt durch das Posting von Stefan Pfeiffer zur zwiespältigen Position des Corporate Bloggers war doch mal zu kläären, was diese ominösen 'Privatblogs' eigentlich sind. Hier mein Kommentar dort, die Lektüre der "Vorlage" ist ggf. hilfreich. 


Das ist in der Tat ein interessanter Komplex. Und wirklich: komplex. Ich behaupte ja immer, dass ich den Ausdruck "privater Blogger" bzw. 'privates Blog' nicht verstehe. Erst kürzlich fiel es mir wieder auf, als ich durch eine Schule ging und etwas suchte, was mein Sohn verloren hatte. Plötzlich stand ich vor einer Tür, an der stand: "Privat", es war ein Nebenzimmer des 'Hausmeisterkabäuschens' und ich frage mich, was genau "Privat" hier wohl heißt. Wenn man es pragmatisch sieht: Hier geht es nicht weiter, hier endet jede Form des öffentlichen Bereichs. In Arztpraxen und wenn man hinter der Kneipe die Toilette sucht, trifft man ebenfalls auf solche Schilder. sie heißen immer dasselbe: Diese Tür bleibt zu. Privat hieße also: "Nicht öffentlich." Es gibt in der Tat nicht-öffentliche Blogs, solche, die nur unter Passwort liegen, meist bei Blogdiensten, die auf 'Life-' beginnen. In Japan, las ich, galt es als ungehörig, die Blogadresse von Bloggern im eigenen Blog zu nennen, sie waren, obwohl nicht unter Passwort, nicht für die Suchmaschinen-Öffentlichkeit bestimmt. "Privat" liest man auch manchmal auf Spaziergängen, meist oft da kein Tor, kein Gatter, aber es ist geklärt: Hier gehst du nicht lang, klar? Hierauf bezieht sich auch die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs 'privat', den wir in der Wikipedia angedeutet finden: 

Privat (von lat. privatus, PPP von privare, „absondern, rauben“, privatum, „das Eigene“ und privus, „für sich bestehend“) bezeichnet Gegenstände, Bereiche und Angelegenheiten, die nicht mehr der Allgemeinheit gehören bzw. offenstehen, sondern nur einer einzelnen Person oder einer eingegrenzten Gruppe von Personen, die untereinander in einem intimen bzw. einem Vertrauensverhältnis stehen... - http://de.wikipedia.org/wiki/Privat

"Das Private", so fiel mir, als ich erst ganz kürzlich darüber nachdachte - ist also der Un-Natürliche Zustand; denn an sich gehört die Natur ja allen, nicht. Also gehörte, sagen wir, bei den Jägern und Sammlern. Da reichte der Horizont so weit, bis man auf die nächste Sammlergruppe stieß. "Privacy", so meine These, ist etwas, das mit der Lebensform jenseits des Dorfes entstand, also final mit der Landflucht bei der Industrialisierung, und das mit dem Global Village und dem Niedergang des Industriellen auch wieder verschwindet. Man könnte, steil "thesend", sagen, dass das Ignorieren von Privacy durch (post/industrielle // intransparente) Unternehmen, deren vorletztes Zucken in der Informationsgesellschaft ist - denn in der Tat geht es ja um Informationskontrolle. Noch anders. Auch der Non-Business-Blogger hat ja "Bindungen", es sind eben andere als unmittelbar wirtschaftliche bzw. andere als vertrags-rechtliche. Sie sind familiär, persönlich, sozial. all das würde bedingen, was diese Person so bloggt. Es gibt ja Blogger, die entweder erfolgreich anonym geblieben sind oder zumindest ihre Kunden nur extrem selten nennen. es sind manchmal Blogger, die gleich mit dem Finger zeigen, wenn sie vermeintlich oder tatsächlich beruflich bedingte Korrelationen zwischen Artikeln und Auftraggebern anprangern. Bei ihnen selbst gibt es solche Korrelationen eventuell auch, aber sie blieben - privat. Und die Transparenz, dei sie anderswo fordern, sind sie selbst nicht bereit zu gewährleisten. Natürlich gibt es für jeden Tabus -- auch der Tagebuchblogger hält sein Famlien- oder Sexualleben aus dem Blog draußen -- oder thematisiert GERADE jenes und wird zum Digitalexhibitionisten. Zum Mix aus Privatmeinung (Politik, whatever) und Businessblog sagte Martin Röll mal sinngemäß, dass er für jemand, der ihn wegen seiner Meinung nicht anheuern würde, auch nicht arbeiten wolle. Macht da dann eine Spaltung in Privat- und Businessblog überhaupt Sinn, solange beide an derselben identifizierbaren Person hängen? Ist etwas, das man im Privatblog schreibt (oder twittert) geschäftlich wirklich irreleveant? (vgl Cisco Fatty...). Implizit würde das wohl eher heißen, dass Businessblogger nur voll-anonym Privatbloggen könnten. Oder: das ihnen ihre private Stimme (widersinnigerweise) geraubt würde. Also anders: Jenseits der Vollanonymität oder des passwort-gesicherten Blogs (das ja immer noch geleaked werden könnte, so wie diverse CEO-E-Mails), denke ich, dass der Ausdruck 'Privatblog' kaum sinnvoll zu definieren wäre. 

 [Dieses etwas längeren Kommentar werd ich dann noch in mein Blog stellen, da das ohnehin mal geklärt werden musste.] 

 Ach ja, Disclosure: In das Blue-Blog von IBM war und bin ich beratend involviert ;)

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Kommentare

Alexander von Halem hat gesagt…
Also für mich sind business und privat das Gleiche, weil ich in meinem "Personenunternehmen" auch als Person für mein Unternehmen stehe. Und gerade im "hospitality" Bereich, also da, wo wir auch unseren Lebensunterhalt verdienen, indem wir versuchen die bestmöglichen Gastgeber zu sein, will ich ja auch als als Mensch und persönlich begreifbarer Gastgeber wahrgenommen werden. In unserem "Gewerbe" zeigt sich, wie wichtig es ist, den Gast (und Blogleser) auch ins "private" Leben eintreten zu lassen.
Stefan Waidele hat gesagt…
Totale Öffentlichkeit der Urzustand der Menschheit? Eher nicht.

Im engen Familien und Dorfverbund gab es wohl wenig Raum für Privatsphäre, jedoch war das Wissen über Andere auf den unmittelbaren Kreis beschränkt. Im Nachbardorf wusste man schon nicht mehr über die Vorkommnisse bescheid.

Die Beschränkung der Informationen war somit örtlich. Welche Beschränkungen gibt es heute noch? Und welche sollten wir uns erhalten oder wieder erarbeiten?

Das sind die Fragen, die wohl zu klären sind/sein werden/hätten geklärt werden sollen.
oliver hat gesagt…
Nun, das Nachbardorf ist ja schon (bzw war) der sozial irrelevante Bereich.
D.h. wenn einer in Brasilien weiß, was ich verdirne, ist das ggf, für mich auch irrlevant solange er mein Bankpasswort nicht hat ;)

Ich bin immer wieder erstaunt, was meine Mutter so alles über ihr soziales Umfeld weiß.
4000+-Einwohner-Dorf.

Primär findet sich im Netz/im Blog ja das, was du selbst reingestellt hast. Das war erstmal das Zentrum des Arguments.

Meine These war:

Nichts was du selbst (und ohne Passwortschutz) ins Netz schreibst, kann von der Logik her irgendwie 'privat' sein. (Und auch nicht mehr werden.)
Kai Nehm hat gesagt…
Die totale Öffentlichkeit als Normalzustand ist nicht so abwegig, wenn man in verschiedenen Kulturen den gemeinsamen Schlafraum und die gemeinsame Tafel betrachtet.
Ein extremes Beispiel sind die Toiletten im römischen Reich, Privacy? - Fehlanzeige.

Die örtliche Beschränkung der Information erklärt ein extremes Mißtrauen gegenüber Fremden.
oliver hat gesagt…
es gibt da ja verschiedene Varianten.

Dei einen sagen, dass nach 30.000 Jahre Kultur (oder so) es ohnehin nichts mehr gibt am 'Menschsein' das 'natürlich' ist. (Also auch so was wie 'Kinder monatelang rumschleppen oder nicht oder was?')

Aber wenn ich mal die nehme, denen wir biologisch weitestgehend entsprechen, also irgendwelchen Savannenläufern, dann bezweifle ich, dass es da 'Privacy' gegeben hat.

Was heute natürlich das Problem ist:
Der Zugriff von 'Mächten' (Staat, Wwirtschaft) auf unsere privacy, die 'weitreichender' sind als 'Mächte damals' (Oder, These, auch weniger weitreichend. wenn ir damals der Vlachef die Keule über deu Rübe zug, war halt Sense.)

Die anderen gehen von Menschenrechten als Errungenschaft der französischen (und ggf. amerikanischen) Revolution aus. (was ist mit hochkulturellen Weltgegenden, die mit diesem Kulturkreis nix zu tun hatten? .- wie China und Arabien?)

Das ist natürlich schön, aber verabsolutiert marginal etwas, was halt grade mal 300 Jahre durch die Köpfe schwirrt und was in kaum einem Staat seitdem "exakt" so umgesetzt ist, wie sich das die Aufklärer mal gedacht hatten.

Menschenrechte, privacy und Datenschutz sind ne prima Sache, aber sie sind ein Funken in der Menschheitsgeschichte. es muss erlaubt sein, sie als solche Konstrukte zu benennen und punktuell anzuzweifeln, dass sie in allen Fällen als sinnvolle Denkwerkzeuge zur Beschreibung von Problemen taugen - oder gar zu deren 'Lösung'.
Stefan hat gesagt…
Die Aussage, dass man für jemand, der einen wegen seiner Meinung nicht anheuert auch erst gar nicht arbeiten wollen würde, ist i.m.A. sehr kritisch.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass eine solche Aussage von einem Arbeitslosen getroffen wird.

Selbstverständlich würde man für jemanden arbeiten, der die eigene Meinung nicht 100%ig vertritt. Anders wäre es doch auch langweilig. Streitkultur ist nichts schlechtes.
oliver hat gesagt…
Merkst du, dass das zweierlei dinge sind?

also:

"Ich heure A nicht an weil er religiös/nicht religös // Grüner/Sozi ist // mehr als 2 Bier pro Abend trinkt / nie Bier trinkt."

Oder
"Ich arbeite nicht für B, weil er nicht 100% meiner Meinung ist."

Ggf. solltest du genauer lesen ;)
Oliver Gassner hat gesagt…
Trackback: Jan Schmidt: wandel on Öffentlichkeit / privatsphäre: Das neue Netz (re:publica09)
Zum Thema Das Weblog und das Private’private Blogs’ hatte ich kürzlich ja schon was geschrieben, mal sehen was der Blog-Soziologie Jan Schmidt heute zum Komplex Öffentlich/privat gleich sagt. Er eröffnet den 3. Tag der re:publica09. - wa
Raventhird hat gesagt…
Gegenthese: Das Private ist das natürliche, das Eigene, die Gedanken, das, was man nicht teil. Erst durch die Interaktion entsteht die Notwendigkeit für das Öffentliche, eben das, was man vor den Augen der anderen im Gegensatz zum Privaten tut. Und wenn die Interaktion zunimmt, wird immer mehr zum Öffentlichen bzw. muss man immer mehr aufpassen, wie und ob man das Private und das Öffentliche vermischt, siehe Internet.
Oliver Gassner hat gesagt…
Gedanke gehen erst online wenn sie nicht mehr privat sind. private Gedanken sind in deinem Kopf oder in deinem Tagebuch.

Was online ist war mal privat, ist es aber eben nicht mehr.