Retail-(Online-)Marketing 2017- Ein paar Gedanken #THINKmarketing

Vor der dmexco 2016 waren ein paar Leute und ich von IBM eingeladen worden, um bei einem Abendessen über die Besonderheiten des (Retail-Online-)Marketings in Deutschland zu reden.

Seitdem gehe ich etwas wacher durch die Welt und überlege:

- Warum kaufen Leute online und nicht offline? (Beides ist OK, aber was verändert sich warum?)

- Was erwarten Leute von Ihrem (offline) Händler an (online) Kommunikation?

- Welche Trends (in der digitalen Kommunikation) sehe ich, die hier eine Rolle spielen können?

Nun, zu diesem Komplex könnte man sicher ein bis zwei Bücher schreiben, aber hier ein paar Ansätze, die ich vor allem mit eigener Erfahrung als Konsument verknüpfe.


- Warum kaufen Leute online und nicht offline? (Beides ist OK, aber was verändert sich warum?)
Ich glaube, die Leute, die einen Job haben (und meist Überstunden machen), haben kaum Zeit zum shoppen, wenn sie von der Arbeit kommen. Läden haben ja schon länger auf, aber man besorgt eher das Notwendigste auf dem Weg. Zudem ist "shoppen" im Gegensatz zum einkaufen eher ein Freizeitvergnügen und keine lästige Pflicht, die man mal kurz erledigt. Die Rede vom "Einkaufserlebnis" ist hier zentral. Damit steht aber auch Shoppen in Konkurrenz zu all den anderen Dingen, die man in der Freizeit an angenehmen Dingen so tun kann. Die Latte liegt also hoch und an Kompetenz und Freundlichkeit des Personals liegt eine strenge Messlatte.
Ich schaue Servicepersonal in letzter Zeit genauer ins Gesicht. Lächeln scheint ein Zusatzservice zu sein, den ich meist nicht gebucht habe. Dort ist man genau so im Stress und genau so angespannt wie in scheinbar allen anderen Jobs. Zum positiven 'Einkaufserlebnis' jedenfalls trägt das nicht bei. Dass unter solchen Bedingungen die Menschen das persönliche Einkaufen meiden und das online erledigen, ist nicht verwunderlich. 
Auch kompetente Beratung scheint schwierig. 
Nur ein marginales Beispiel: Ich komme mit dem im Bad immer wieder abfallenden Klebehaken in den Baumarkt und erbitte eine Alternativlösung. Ich gehe mit einem Klebenhaken heim, bei dem sich rausstellt, dass er für Feuchträume nicht vorgesehen ist. Ja, ich könnte zurückgehen und reklamieren. wenn ich mir selbst Mindestlohn zahlen würde kostet mich das... den Preis den Hakens. Und: So etwas passiert mir leider oft. Fachhandel? Ja, dem Namen nach. Anderen geht es wohl auch so.
Die Konsequenz ist, dass Lieferdienste, die mir nicht nur das Einkaufen sondern auch das Shoppen abnehmen aus dem Boden sprießen. Ob sie profitabel sind, ist die eine Frage, dass der Umsatz anderswo fehlt, ist klar. (Wenn Versandapotheken abwiegeln, sie machten ja nur 5% des Umsatzes, ist das doch ein Witz, sie würden ja auch gern 50 oder 80 Prozent machen, wenn sie könnten. Ich jedenfalls könnte die Medikamente, die ich regelmäßig brauche, sicher auch per App schon aus dem Wartezimmer bestellen. was ich sonst so brauche gibt es in anderen Ländern ohnehin im Supermarkt und ist nur in D apothekenpflichtig. Was ich aber schätze ist, dass ich mit meiner Apothekerin auch mal ein Beratungsgespräch führen kann, das per Chat wahrscheinlich so nicht passieren würde.)

Die Lösung?
Marketing muss sich nicht als Unternehmensfunktion begreifen oder als Disziplin sondern als "Gespräch mit dem Kunden", wie es das Cluetrain Manifest (1999) proklamiert. Es kann Gespräche unter Kunden (sagen wir: Empfehlungen, wo man kaufen soll und kann), Gespräche von Mitarbeitern mit Kunden (Beratung, Fachinfromation) und Gespräche von Kunden mit Firmen (Anregungen, Crowdsourcing, Crowdwisdom) verbessern, erleichtern, gehaltvoller gestalten. 
Dass Big Data und KI "nebenbei" Unternehmensprozesse optimieren können, Verschwendung vermeiden und Produkte ultimativ besser oder billiger oder beides machen: prima.

- Was erwarten Leute von Ihrem (offline) Händler an (online) Kommunikation?
Ich glaube nicht, dass jedes Unternehmens seine eigene App braucht. ich glaube aber, dass Unternehmen digital zugänglicher sein sollten und digitale Kommunikation in ihren Kundendialog (sei es Werbung, Marketing, Verkaufsgespräch) integrieren sollten. 
wenn ich bei einer Buchhandlung, die auch einen Onlineshop hat, bei Filiale A ein Buch per Mail bestelle und es abholen will, wäre es cool, wenn ich nicht eine Mail bekomme, es sei jetzt bei Filiale B (in einer Stadt, in der ich seltener bin). Oder wenn mir gesagt wird, ich möge meine Bitten doch am Telefon vortragen und nicht in einer Mail.
Es hilft auch, wenn ich die Infos, die ich am häufigsten brauche (Telefonnummer und Öffnungszeiten) schon auf dem Google Maps-Eintrag, der bei meiner Suche eingeblendet wird und ich mir das nicht per Schnitzeljagd auf der Homepage zusammensuchen muss. (Ist unter Kontakt jezt wieder nur ein unsägliches Non-E-Mail-Formular, das mich eine Message senden lässt, von der ich keine Kopie habe? Finde ich im Impressum auch die Kontkatdaten der Filiale, die ich suche? Kann ich bei DEM Mediamarkt anrufen, bei dem ich heute war - oder nur in einer Telefonzentrale? (Am schlimmsten sind hier die Banken ...)

Was wäre der Idealfall? Dass ich online all jene Infos habe, die mir helfen, eine Kaufentscheidung oder eine Entscheidung zu treffen, zum Laden zu fahren. dass ich weiß: es gibt das, was ich suche, im Laden wirklich und es ist eventuell sogar für mich beiseite gelegt. Rücksendequoten und deren Kosten lassen sich sicher ideal durch 'online bestellen, im Shop abholen (und vorher probieren) senken. Dieses scheint aber eine zwar lobenswerte aber erst punktuell eingesetzte Praktik.

- Welche Trends (in der digitalen Kommunikation) sehe ich, die hier eine Rolle spielen können?
2016 haben sich einige Technologien weiterentwickelt oder durchgesetzt, die den digitalen Dialog zwischen Einzelhandel und Kunden verbessern können.
Vorher aber vielleicht kurz ein Wort zu Technologien, die diesen Dialog eher negativer beeinflussen:
- Retargeting: Ist sicher nicht den Teufels, wird aber oft so aufdringlich gemacht, dass es einen paranoid werden lässt. Peinlich ist, wenn man angezeigt bekommt, was man längst gekauft hat. Noch peinlicher, wenn von zehn Anzeigenslots auf einer Page acht das bereits gekaufte Produkt zeigen. kein Joke, alles passiert, Screenshot leider nicht nachhaltig gesichert.)

- Jede Form von 'automatisierter Akquise': Kein menschen möchte von einem Automaten als Kunden gewonnen werden. Eine gewisse Automatisierung der digitalen Kommunikation ist sicher lobenswert, aber je näher der eigentliche Verkauf kommt, desto eher weiß auch der Kunde die menschliche Stimme zu schätzen. Wenn allerdings der Callcenter-Agent keinerlei Möglichkeit zur Kulanz hat und auch nicht eskalieren kann oder will... dann bliebt auch die positive Kundenerfahrung auf der Strecke. 

Trends nun:
- Deep Learning
An sich ist das auf das "Kunden, dei x gekauft haben, haben auch y gekauft" nochmals einiges draufgesetzt. So wie der DL-Googleübersetzer aktuell schon seltsame Blüten treibt (AFD wird aus der rissuschen mit deutsch NPD übersetzt, der Name eines türkischen Journalisten auf deutsch mit 'Miley Cyrus' wiedergegeben)... sollte man eventuell dieser "Plastikintelligenz" Prozesse wie Schach- oder Go-Spielen und das Optimierten von Logikstikprozessen überlassen, aber nicht das "Denken". Zumal die Technologie so fortschrittlich ist, dass man zwar weiß, dass der Computer das Go-Spiel gewonnen hat... aber nicht: warum.
Deep learning könnte dennoch helfen, reale wie digitale Gespräche mit Kunden zu optimieren. aus Kaufhistorie Ideen abzuleiten, was den Kunden glücklich(er) machen könnte.

Eventuell mit
- Chatbots
Die vorhin gescholteten Callcentermenschen sind oft mit aufgaben gesegnet, die auch ein Chatbot übernehmen könnte - sei er stimmgesteuert oder ein 'Tastenhengst': Das Vorsortieren, welcher Experte den da weiterhelfen kann. Manchmal ist auch schwer einzusehen, dass eine Kundennummer, die man via Telefontastatur angegeben hat, dem menschen nochmals diktieren zu müssen. der Übergang zu einem Chat oder Telefonanruf mit einem Menschen könnte dann fließend sein und Servicezeiten massiv minimieren und Bestellungen beschleunigen.

Obiges also als ein paar Skizzen zu dem, was man 2017 im Blick behalten könnte.

Feedback willkommen.

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